Vor einem hellen Mauerwerk steht auf einem niedrigen, hellen Quader eine Person in kurzen Jeans und Wildling Minimalschuhen. Die Person ist bis zur Hüfte im Bild und streckt ein Bein nach vorne, sodass die Sohle eines Schuhs Richtung Kamera gedreht ist.

„Krisen erfordern, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren“

Fashion Changers im Gespräch mit Anna Yona und Sebastian Feuß über die aktuelle wirtschaftliche Lage und Preiserhöhungen.

Spätestens seit der Corona-Pandemie scheinen Krisen und Konflikte uns fest im Griff zu haben, so fühlt es sich zumindest an. Die multiplen und gleichzeitigen Krisen – Post-Corona, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die Energiepreiskrise und damit einkehrende Preiserhöhungen, die steigende Inflation – geben uns das Gefühl einer permanenten Ausnahmesituation, die durch die mediale dauerhafte Berichterstattung verstärkt wird. Nicht zu vergessen die Klimakatastrophe, eine langfristige Krise, die sich direkt auf unseren Alltag auswirkt und das Leben nachhaltig verändert. Expert*innen sprechen angesichts dieser multiplen Krisen von einer Krisenpermanenz.

Dabei haben Krisen natürlich auch die vergangenen Jahrzehnte geprägt und sowohl Wirtschaft und Gesellschaft mussten einen Umgang damit finden. Da wären etwa die Nuklearkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima mit ihren langzeitigen Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit. Oder 9/11, der den Irak- und Afghanistan-Krieg nach sich zog und die westliche Außen- und Sicherheitspolitik für immer veränderte. Oder die Finanzkrise im Jahr 2008, die weltweit für verteuerte Unternehmenskredite und einen Konjunktureinbruch sorgte. 

Und doch sind Krisen ein Stresstest für die ganze Gesellschaft. Oft reagieren wir dabei passiv auf das, was passiert. Selten sind wir widerstandsfähig auf das vorbereitet, was kommt. Wie wichtig es ist, das Handeln langfristig (neu) auszurichten und dabei auch Werte wie Nachhaltigkeit nicht aus den Augen zu verlieren, führt uns die aktuelle Wirtschaftskrise deutlich vor Augen. Das Gute: Jede Krise bringt (wann) auch immer einen Wendepunkt und damit Lösungen mit sich. 


Aktuelle Entwicklungen in der Modebranche

Preissteigerungen spüren wir in diesen Zeiten alle. Für Unternehmen fallen in vielen Teilen der Lieferkette höhere Kosten an, da Lieferanten selbst mit steigenden Energie-, Einkaufs- und Lohnkosten rechnen müssen. Auch Dienstleistungsbereiche, wie Zahlungsanbieter, Versand und Transport, werden teurer. Konsument*innen bekommen die steigenden Produktionskosten dann zu spüren, wenn die Mehrkosten unternehmensintern nicht mehr abgefedert werden können.

Die Mehrheit der Modeanbieter konnte laut dem Bundesverband des Deutschen Textil-, Schuh- und Lederwareneinzelhandel (BTE) im Jahr 2022 nicht den Umsatz von 2019 erreichen und die Umsätze für Bekleidung, Schuhe und Lederwaren sind im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr um 2 Prozent zurückgegangen. Im Januar 2023 meldete das deutsche Marktforschungsinstitut GfK hingegen eine Verbesserung der Konsumstimmung, auch wenn das Niveau immer noch niedrig sei. Da von weiteren Preissteigerungen auszugehen ist, schätzt der BTE, dass Modeunternehmen im Jahr 2023 8 bis 10 Prozent mehr Umsatz erzielen müssen. Angesichts der angespannten und unsicheren Lage, stellt das viele Unternehmen vor große Herausforderungen.

Wie hart die Lage die Fair-Fashion-Branche trifft, berichtete der ZEIT-Artikel “Fair Fashion: Die Insolvenzwelle rollt” im November 2022. Um die Krise abzufedern, Cashflow zu generieren und Lagerbestände zu leeren, haben viele Fair-Fashion-Labels auf Rabattaktionen gesetzt. Mimi Sewalski, Geschäftsführerin vom Avocadostore, erzählt uns, dass sie noch nie so viele nachhaltige Shops und Labels mit hohen Rabatten, also statt 20 und 30 Prozent, 50 Prozent und mehr, im Sale wahrgenommen hat. Im ZEIT-Artikel sagt Sewalski: "Bei Avocadostore hatten wir schon 20 isolvenzbedingte Kündigungen dieses Jahr, normal sind eine oder zwei." Auf unsere Nachfrage hin, berichtet sie, dass es 2023 bereits drei insolvente Händler*innen auf dem Avocadostore-Marktplatz gab, allerdings nicht aus dem Modebereich.

Verlangsamtes Wachstum und weniger Konsum

Mit Blick auf die Krisenpermanenz sagt der „State of Fashion 2023“-Report von Business of Fashion und McKinsey voraus, dass sich das Wachstum in der Modebranche im Jahr 2023 verlangsamen wird. So werden Modeunternehmen angesichts steigender Kosten, etwa in Herstellung und im Vertrieb, und abnehmendem Konsum im Jahr 2023 Einsparungen vornehmen müssen. Das sind schlechte Nachrichten für ein auf Wachstum ausgerichtetes System, wie wir es kennen, aber gute Nachrichten für unseren Planeten. Denn die strategische Reduktion des Ressourcenverbrauchs im Globalen Norden ist eine wirksame und dringend notwendige Klimaschutzmaßnahme, die Wissenschaftler*innen schon lange einfordern. So betrachtet kann diese Krise auch eine Chance sein, Produktion und Konsum zu verringern und neue Wege zu finden, über ein solidarisches Wirtschaftssystem nachzudenken, das nicht auf Wachstum und Wettbewerb fixiert ist.

Die Inflation verändert zwangsläufig das Konsumverhalten, insbesondere bei einkommensschwachen Menschen. Konsumforscher*innen sagen, dass über die Grundbedürfnisse hinausgehende Anschaffungen in Krisenzeiten überprüft und unnötiger Konsum stärker hinterfragt wird. Kund*innen achten dann bei Marken verstärkt auf Präsenz, Transparenz und Verlässlichkeit und suchen nach Produkten mit einem echten Mehrwert, schreibt Diplom-Psychologin Birgit Langebartels vom Kölner Rheingold Institut in einer Studie über die aktuelle Stimmungslage der Verbraucher*innen in Deutschland. 

Mode geht – dank Fast Fashion – seit den Nullerjahren über das tatsächliche Grundbedürfnis hinaus und ist bei vielen ein “nice-to-have”-Produkt. Die gegenwärtigen Einsparungen zwingen Konsument*innen auf der einen Seite also dazu, sorgfältiger auszuwählen, und Marken auf der anderen Seite, sich zu fokussieren und ihre Relevanz zu schärfen. Expert*innen empfehlen Unternehmen deshalb qualitativ hochwertige, übersaisonale und genderfluide Produkte anzubieten sowie die Nutzungsdauer von Produkten durch Reparier-Services oder Secondhand zu verlängern. Ist die Krise also auch eine Chance für Unternehmen, suffizienter im Sinne einer Post-Wachstums-Gesellschaft zu wirtschaften und die verloren gegangene Balance zwischen wirtschaftlichen, ökologischen und menschlichen Bedürfnissen wiederherzustellen?

Wir haben mit Wildling-Geschäftsführer*innen Anna Yona und Sebastian Feuß über die aktuelle Situation, die unternehmerische Neuausrichtung und Preiserhöhungen gesprochen.


Für viele Unternehmen ist es aktuell nicht leicht – steigende Energiepreise, die Inflation, vielleicht auch noch Corona-Nachwehen. Wie geht es Wildling?


Anna: Es ist eine deutlich schwierigere wirtschaftliche Lage. Die multiplen Krisen wirken auf unterschiedlichen Ebenen im Unternehmen und verstärken sich gegenseitig. Das macht es komplex. Sie erfordern damit nicht nur eine Bewältigungsstrategie, sondern gleich mehrere. 


Sebastian: Die drei größten negativen Faktoren für uns sind aktuell: die rückläufige Kaufkraft, steigende Kosten aufgrund der Inflation und ein von äußeren Sorgen belastetes Team. Die äußeren Faktoren können wir natürlich nur bedingt beeinflussen. Für unsere Kund*innen arbeiten wir konstant an einem relevanten Angebot, das wir weiterentwickeln und optimieren. Wir passen unsere Produktionsmengen der tatsächlichen Nachfrage an und gehen in partnerschaftliche Verhandlungen mit unseren Lieferant*innen, um die Kostensteigerung im Rahmen zu halten. Wir fokussieren uns außerdem finanziell auf das Wesentliche: unsere relevantesten Produkte, Entwicklungen und eine gute Qualität.


Anna: Um steigende Kosten auszubalancieren, müssen wir zusätzlich einen weiteren Hebel bedienen und unsere Preise erhöhen. Das ist natürlich ein schwieriger Schritt – besonders in einer Zeit der schwindenden Kaufkraft. Es bleibt uns an dieser Stelle aber keine Alternative. Um Familien nicht übermäßig zu belasten, halten wir aber die Preise der Kinderschuhe stabil. 

 

Wieso war es euch wichtig, die Preise für die Kinderschuhe nicht anzuheben?

Anna: Wir hatten die Wahl, alle Preise zu erhöhen oder einen Unterschied zwischen Kinderschuhen und Erwachsenenschuhen zu machen. Wir haben uns für letzteres entschieden, weil wir insbesondere die Kinderschuhe für so viele Menschen wie möglich zugänglich halten wollen. Daher behalten wir die Kinderschuhpreise bei. Zum Ausgleich müssen wir die Preise im Erwachsenenbereich deutlich anheben.

Im direkten Vergleich mit unseren Wettbewerbern bieten wir damit immer noch ein sehr hochwertiges, nachhaltiges Produkt zu einem sehr fairen Preis an. Auch wenn der Sprung für unsere Stammkund*innen sicher schmerzhaft ist. Es ist allerdings der einzige Weg für uns auch weiterhin viel in die Weiterentwicklung der Funktion unserer Produkte, in Qualität, Nachhaltigkeit und Fairness bei der Auswahl der Materialien und der Produktionsstätten zu investieren. Und ohne das wäre Wildling einfach nicht Wildling. 

 

 Möglichkeiten, Wildlinge günstiger zu erwerben 

Schuhe mit kleinen Produktionsfehlern gibt es 20 Prozent günstiger im Showroom in Engelskirchen und online über die Wildling App. Tipp: Die Benachrichtigungsfunktion teilt mit, wann neue B-Ware Schuhe zum Verkauf angeboten werden. 

Wildinge werden auf den gängigen Secondhandplattformen rege angeboten. Durch die dünne Sohle und das fehlende Fußbett gibt es keine Gefahr, dass die Schuhe schräg ab- oder eingelaufen wurden, so dass sich Wildlinge auch gut secondhand tragen lassen. Im Webshop gibt es frische Einlegesohlen und bunte Senkel – damit ist auch ein stark getragener Wildling schnell wieder aufgefrischt. 

 

Wie habt ihr es denn bisher geschafft, in eine nachhaltige Weiterentwicklung zu investieren, ohne die Preise zu erhöhen?


Sebastian: Unsere Margen waren sehr knapp kalkuliert, weil wir von Beginn an Kinderschuhe aus hochwertigen Materialien und europäischer Produktion machen wollten, die trotzdem noch erschwinglich sind. Das konnten wir uns nur erlauben, weil wir unsere Produkte immer direkt an unsere Kundschaft verkauft haben und keine Handelsmarge einpreisen mussten. 
Anna: Über die Jahre sind unsere Kosten für die Herstellung immer weiter gestiegen. Wir haben zunehmend in eine transparente, regionale Lieferkette investiert und unsere Materialien sind damit eher teurer geworden als günstiger. Die Herstellung der Schuhe ist aufwändig und kompliziert. Wir können auch durch größere Stückzahlen keine Kosten einsparen, da es sich größtenteils um Handarbeit handelt. Ganz abgesehen davon, dass es auch nicht unserem Verständnis von Partnerschaft mit unseren Herstellern entsprochen hätte, eine wachsende Abhängigkeit als Hebel für eine Preissenkung zu missbrauchen. 

 

Und dann gibt es ja auch noch die Inflation, die eure Partner*innen sicher auch betrifft.

Sebastian: Alle Dienstleister und Partner*innen entlang der Lieferkette erhöhen ihre Preise um 6 bis 30 Prozent. Das können wir intern nicht mehr auffangen. Bislang ist uns das oft gelungen, solange die Nachfrage stetig gestiegen ist. In der aktuellen Wirtschaftslage ist das für uns so aber nicht mehr möglich und wir mussten eine strategische Entscheidung treffen. Wir wollen weiterhin in die Entwicklung nachhaltiger, langlebiger Materialien investieren, wollen Reparaturen anbieten und Lösungen für ein Recycling der Schuhkomponenten finden. Wenn wir unter eine wirtschaftliche Marge fallen, sind all diese Entwicklungen in Zukunft nicht mehr möglich. Damit würde uns auch der Sinn und Zweck unseres Unternehmens verloren gehen. 

 

Ein ziemlicher Balanceakt. Wieso ist euch insbesondere die Investition in eine nachhaltige Entwicklung so wichtig?

Anna: Im Prinzip geht es ja darum, verschiedene Bedürfnisse innerhalb unterschiedlicher Beziehungen in ein gutes Verhältnis zu bringen. Unsere Kund*innen wünschen sich ein gutes Produkt zu einem möglichst fairen Preis. Unsere Lieferant*innen möchten eine angemessene Bezahlung und eine stabile Partnerschaft. Die Bedürfnisse unseres Lebensraums sind zu selten laut und deutlich, aber wir sind alle davon abhängig, Wege zu finden, anders zu wirtschaften. Daher braucht es kontinuierliche Investitionen, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Nicht zuletzt hat Wildling das Bedürfnis, eine Marge zu erzielen, von der das Unternehmen leben und Gehälter zahlen kann. Hier geht es nicht um Luxusinvestitionen, Boni am Jahresende oder Dividenden, sondern einfach darum, eine faire und sinnvolle Zusammenarbeit zu gewährleisten. Aus all diesen Bedürfnissen ergeben sich Kosten für die Produktherstellung, eine Marge, die für Wildling überlebenswichtig ist und aus beidem ein Preis, der den Wert des Produktes und all dessen, was in dieses hineinfließt, hoffentlich adäquat wiedergibt.

 

Trotzdem musstet ihr zuletzt euer Team um ein Sechstel verkleinern. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Sebastian: Wir haben uns intern intensiv mit Kostentransparenz, Budgetplanung und gezielteren Investitionen beschäftigt und als Team vor allem auch eine klare Entscheidung hin zum Weniger getroffen – weniger Projekte, weniger Themen, weniger Dinge, die wir versuchen gleichzeitig zu machen. Und dennoch ist uns leider, als einziger großer Kostenhebel, die schwere Entscheidung, unser Team zu verkleinern und Menschen zu entlassen, nicht erspart geblieben. Um diese schwierige Erfahrung gemeinsam zu verarbeiten und der Entfremdung durch die letzten Jahre der Pandemie und den damit verbundenen Sorgen zu begegnen, liegt ein sehr großer Schwerpunkt der nächsten Wochen und Monate darauf, wieder enger zusammenzurücken und als Team in unsere kollektive Kraft zurückzufinden.

 

Und wie schätzt ihr die nächsten Monate wirtschaftlich ein?

Anna: Fakt ist, dass uns schwierige Zeiten bevorstehen. Ich denke aber, dass es eine Zeit wird, in der wir uns alle wieder auf das Wesentliche konzentrieren müssen. Wir setzen auf eine neue Balance aus angepasstem oder reduziertem Wachstum und einer sinnvollen Kostenstruktur. Und wir fokussieren uns darauf, existierende Kund*innenbeziehungen zu pflegen und im Team wieder eine gemeinsame Präsenz zu schaffen. 

 

Was können andere nachhaltig agierende Unternehmen aus den Erfahrungen von Wildling lernen? 

Sebastian: Leider haben wir auch keine einfache Antwort. Ich denke, dass es jetzt mehr denn je wichtig ist, der Kundschaft ein relevantes Angebot zu machen, das auf tatsächliche Bedürfnisse und Probleme eingeht. Wenn grundlegende Bedürfnisse wie Sicherheit, Grundversorgung und der kleinere persönliche Umkreis in den Vordergrund rücken, wird es schwieriger, künstlichen Bedarf zu erzeugen. Das hat gleichzeitig den sehr positiven Effekt, dass unnötiger Konsum sinkt, aber es erhöht natürlich den Druck auf Unternehmen, ihr Angebot zu schärfen und eine Relevanz sicherzustellen. 


Anna: Was ich gerade als traurig und beunruhigend empfinde, ist die Tatsache, dass vor allem unabhängige, kleinere Brands im Nachhaltigkeitsbereich besonders von den aktuellen Umständen betroffen zu sein scheinen. Das liegt sicherlich daran, dass unsere Zielkundschaft in der Mittelschicht am meisten von Verhaltensänderungen durch die Wirtschaftskrise betroffen ist. Brands im unteren Preissegment gewinnen neue Kundschaft, die verstärkt Kosten sparen muss. Brands im oberen Preissegment und Luxussegment behalten ihre Zielgruppe, die von den Einschränkungen, wenn überhaupt, nur mäßig beeinflusst ist. Damit fallen vor allem im mittleren Segment Kund*innen weg, die diese Produkte bislang vor allem aus Überzeugung gekauft haben, und jetzt sehr viel genauer überlegen müssen, ob sie sich den Kauf leisten können. 

 

Und wie kommt die nachhaltige Branche als Ganzes da durch?

Sebastian: Nachhaltig und sozial aufgestellte Unternehmen haben per se höhere interne Kosten als Unternehmen, die sich nur auf das Kerngeschäft fokussieren. Die Kosten entstehen durch: höhere Material- und Produktionspreise; Gehälter für Mitarbeitende, die sich um Transparenz in der Lieferkette und Sozialstandards kümmern; Produktentwicklung für nachhaltigere Alternativen und Kreislauflösungen oder Ressourcen, die für den Aufbau einer menschlichen Organisationskultur, für Austausch, Gestaltung und Regeneration gebraucht werden. 


Anna: Politisch ist das auf Dauer nicht tragbar – eine Gemeinwohlorientierung kann nicht langfristig auf Eigeninitiative und Freiwilligkeit beruhen. Sie kann auch nicht dauerhaft allein aus eigener finanzieller Kraft und Verantwortungsbewusstsein der Unternehmen gestemmt werden. Der aktuelle wirtschaftliche Rahmen, innerhalb dessen soziale und nachhaltige Unternehmen agieren müssen, erzeugt einen unfairen Wettbewerb zwischen Unternehmen, die sich solchen Themen widmen und anderen, die stattdessen ihre finanzielle Kraft in Werbung und Wachstum stecken. In einer Krise führt dies im schlimmsten Fall dazu, dass hinterher nur die Großen und Verantwortungslosen übrigbleiben. Hier braucht es Unterstützung und Initiativen, zum Beispiel über Steuererleichterungen für Gemeinwohlorientierung, für geschaffene Kreislauflösungen und für die Gestaltung einer menschenzentrierten Organisationskultur, die im Rahmen einer Gesellschaft übrigens auch einen Bildungsauftrag übernimmt und dringend notwendige Regenerationsräume schafft. Nur so kann ein Teil der Unfairness gegenüber jenen Unternehmen, die auf Kosten der Gesellschaft auf Shareholder-Profite optimieren, ausgeglichen werden. 


Sebastian: Vielleicht ist das auch der Weckruf, sich mit ähnlichen sozial orientierten, kleinen und unabhängigen Unternehmen zusammenzutun und zu kollaborieren – sei es, um im Bereich der Kreislaufwirtschaft Synergien zu schaffen, die gemeinsame Reichweite zu nutzen und Werbekosten zu sparen oder Wissen und Arbeitskraft miteinander zu teilen. Die größte Herausforderung ist, dass die Krise gleichzeitig erfordert, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Eine Kollaboration mit anderen Unternehmen, ein Suchen nach dem gemeinsamen Nenner und ein Aufbau neuer Zusammenarbeitsstrukturen scheint dem erstmal konträr gegenüberzustehen. Es könnte aber unsere einzige Chance sein, gemeinsam die Krise zu bewältigen und unsere Vielfalt zu bewahren.

 

Vielen Dank für das offene Gespräch, Anna und Sebastian.

 

Titelbild: Nora Tabel | Wildling Shoes