Im Hintergrund eine Nahaufnahme von Hanfsamen in einem Sack. Im Vordergrund folgender Text: "Regenerative Collective, VirgoCoop x Wildling Shoes" sowie die Logos beider Firmen und eine Grafik, die eine stilisierte Hanfpflanze zeigt.

Hanfliebe

VirgoCoop und Wildling Shoes arbeiten aus Liebe für ein lange in Vergessenheit geratenes Material zusammen: Hanf. Wir helfen unseren französischen Kooperationspartnern dabei, eine direkte Lieferkette aufzubauen, um zukünftig Materialien und Naturfasern aus der nachhaltigen Kultpflanze zu beziehen. Alles Made in Europe. Alles Teil der Re:generation.

Mathieu Ebbesen-Goudin, Co-Gründer unseres Partnerunternehmens VirgoCoop, erzählt im Interview, wie seine Liebe zu Hanf entstanden ist, warum die Kulturpflanze eine besonders nachhaltige Alternative zu Baumwolle und Co. darstellt und was es mit ihren europäischen Wurzeln auf sich hat. Bonjour, Mathieu!

Was macht Hanf für dich so besonders?

Hanf ist eine großartige Pflanze, eine wunderbare Verbündete für die notwendige ökologische Transformation. Es handelt sich um eine vielseitige Pflanze, die an unterschiedlichen Standorten biologisch angebaut werden kann und dabei verhältnismäßig wenig Wasser verbraucht. Ihre Erzeugnisse können in verschiedenen Bereichen verwendet werden: Textilien, Bauwesen, Ersatz für viele synthetische Fasern und andere Zwecke. In einer Welt, die dringend biologisch erzeugte Materialien benötigt, ist Hanf daher eine der besten Alternativen, die wir haben.

Warum ist Hanf ein so guter und nachhaltiger Rohstoff?

Hanfpflanzen sind recht einfach anzubauen. Sie benötigen keine großen Wassermengen und können biologisch genauso effizient kultiviert werden wie im konventionellen Anbau. Außerdem eignet sich Hanf hervorragend für die Fruchtfolge und kann Unkrautbildung verhindern. Der nachfolgende Ertrag kann dann sogar um 5 bis 10 Prozent höher ausfallen.

Natürlich kann Hanf auch falsch angebaut werden, zum Beispiel sollte man ihn nicht Jahr für Jahr immer wieder auf demselben Feld anpflanzen. Aber im Rahmen des agrarökologischen Konzepts, das VirgoCoop mit seinen Partner-Landwirten verfolgt, wird Hanf nicht öfter als einmal in vier oder fünf Jahren auf dasselbe Feld gesetzt. Auch wenn manche Orte besser geeignet sind als andere, kann Hanf in den verschiedensten Breitengraden und Klimazonen angebaut werden, nicht nur in Europa, sondern auch in vielen anderen Teilen der Welt.

Mathieu Ebbesen-Goudin im Gespräch im Wildling Shoes Atelier.

Mathieu Ebbesen-Goudin (Mitte) im Wildling Shoes Atelier, Foto: Stefano Chiolo | Wildling Shoes

Ist das der Grund, warum Hanf aktuell ein so großes Comeback feiert?

Auf jeden Fall. Der Bedarf an biologisch erzeugten Rohstoffen und das große Engagement, mit dem sich viele Menschen auf der ganzen Welt für Hanf einsetzen, hat die wachsende Verbreitung ermöglicht, die wir derzeit sehen.

Lange Zeit hatte Hanf ein schlechtes Image, weil die Pflanze mit Haschisch und Marihuana in Verbindung gebracht wird. Inzwischen hat ein großer Teil der Gesellschaft verstanden, dass Hanf, der für die Textilherstellung verwendet wird, absolut keine psychoaktive Wirkung hat und es sich hier eindeutig um unterschiedliche Dinge handelt.

Außerdem hat die Tatsache, dass Hanf schon in früheren Zeiten für Textilien verwendet wurde und eine gute Alternative zum vorherrschenden, umweltbelastenden Baumwollanbau oder zu synthetischen Fasern sein kann, den Weg für dieses Comeback geebnet.

Kannst du uns ein wenig über die Geschichte des Hanfs in Europa (und darüber hinaus) erzählen? Warum ist er eigentlich aus unseren Schränken verschwunden?

Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war Hanf auf dem gesamten eurasischen Kontinent weit verbreitet. In China wird die Pflanze seit mehr als 10.000 Jahren genutzt. In Europa wurde er zu zwei Zwecken angebaut: zum einen zur Herstellung von Kleidung (die Bauern spannen und webten ihn für den Hausgebrauch), zum anderen zur Herstellung von Segeln und Tauen, die für die Schifffahrt unentbehrlich waren.

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Hanf von zwei großen Widersachern verdrängt: der Erfindung von Dampfschiffen, die keine Segel mehr brauchten, und dem Aufkommen von Baumwollstoffen, die zunächst in England und dann in der ganzen Welt hergestellt wurden. Seine Bedeutung ging langsam zurück. Ein weiterer entscheidender Moment war die Kriminalisierung und das Verbot aller Arten von Cannabis in den USA während des Zweiten Weltkriegs, dem bald auch die westeuropäischen Länder folgten.

Hanf verschwand fast überall, außer in der Sowjetunion und in Frankreich, das aus politischen Gründen beschloss, eine kleine Hanfindustrie aufrechtzuerhalten. Das erklärt, warum es das wichtigste Land in Europa für Hanf und der dritt- oder viertgrößte Produzent weltweit ist. Infolgedessen konnte Hanf in der europäischen Textilproduktion keine bedeutende Rolle mehr spielen. Heute müssen wir deshalb die meisten Schritte der Hanfverarbeitung wieder ganz neu entwickeln.

Hat Hanf das Zeug dazu, die Modeindustrie in Richtung Kreislaufwirtschaft zu verändern?

Er wird vielleicht nicht alles ganz allein verändern, aber er kann ein wichtiger Baustein sein. Die Tatsache, dass Hanf in vielen europäischen Regionen in großem Umfang angebaut werden kann, macht ihn zu einem sehr interessanten Rohstoff für eine Textilindustrie, die versucht, Alternativen für Materialien mit weiten Transportwegen und einer schlechten ökologischen Bilanz zu befreien.

Interessant ist auch, dass der Textilhanf auch für andere Zwecke genutzt wird: Mehr als die Hälfte des Rohmaterials wird im Bereich des CO2-reduzierten Bausektors verwendet und die Pflanze bietet Landwirten eine Einkommensmöglichkeit im ökologischen Anbau. Hanftextilien können, wie andere auch, durch Faseraufschluss recycelt werden. Die Fasern können für neue Garne verwendet werden, indem man sie mit geringeren Mengen neuen Materials mischt.

Wie würdest du deine Vision und Mission für VirgoCoop beschreiben?

Das Ziel von VirgoCoop ist es, den ökologischen Wandel zu beschleunigen und zu verstärken, indem wir ökologische und sozial verantwortliche Textilproduktion fördern. Hanf ist dabei unser Schwerpunkt, aber wir arbeiten auch mit Wolle, im Bereich Upcycling und mit neuen Ressourcen, die für Textilien nutzbar sein könnten.

VirgoCoop ist eine Genossenschaft, die nach den Grundsätzen eines sozial-ökologisch verantwortungsvollen Wirtschaftens arbeitet. VirgoCoop wurde 2018 in der französischen Region Okzitanien gegründet und arbeitet gemeinsam mit Partner:innen am Aufbau einer ökologisch-sozialen Textilproduktion in dieser Region.

Aktuell baut VirgoCoop eine erste Produktionsstätte für Hanf auf, kultiviert in diesem Jahr auf etwa 200 Hektar Textilhanf, gewinnt jährlich rund 10 Tonnen Wolle aus der Region und betreibt eine Weberei namens Tissages d'Autan, die Stoffe aus verantwortungsvoll erzeugten Naturmaterialien herstellt.

Regenerative Collective

Regeneration braucht Zusammenarbeit. Als Regenerative Collective verbinden wir uns mit Unternehmen, die unsere Leidenschaft für die Schaffung von Synergien und die positive Beeinflussung unserer Umwelt teilen. Gemeinsam lernen wir zu verlernen. Wir hören uns gegenseitig zu, tauschen Ideen aus und diskutieren Herausforderungen. Gemeinsam schaffen wir Veränderung.


Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Wildling und VirgoCoop?

Wildling kam 2021 auf der Suche nach europäischen Hanflieferanten auf VirgoCoop zu und nach einem ersten Kennenlernen kam es schnell zu einer Zusammenarbeit. Wildling begann sowohl Stoffe von der Weberei zu beziehen, als auch in die Genossenschaft zu investieren und wurde 2022 eine wichtige Anteilseignerin.

Für VirgoCoop waren die von Wildling eingebrachten Mittel entscheidend, um in Produktionsanlagen für die Verarbeitung von Textilhanf zu investieren. Die Zusammenarbeit mit Wildling ist von großer Bedeutung, weil wir so alle gemeinsam eine nachhaltige Lieferkette in Europa entwickeln können. Nur wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, werden wir dieses Ziel erreichen, und es ist großartig, dass wir diesen langen Weg gemeinsam gehen können.

Mit welchen anderen Partnern arbeitet ihr zusammen und warum braucht es solche Kooperationen wie die unsere?

VirgoCoop arbeitet mit verschiedenen französischen Marken zusammen, denen ein verantwortungsvolles Wirtschaften am Herzen liegt. IFA chanvre, UBAC shoes, Missègle, Baserange gehören dazu und es gibt eine ganz besondere und langfristige Beziehung zu Atelier Tuffery, das unserer Idee schon sehr früh vertraut hat, noch bevor die Genossenschaft gegründet wurde.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass mehr Kooperationen mit neuen Partner:innen zustande kommen, denn das Ziel ist ziemlich ehrgeizig: Der Aufbau einer nachhaltigen landwirtschaftlichen, industriellen und kreativen Produktionskette braucht Kraft, dauerhafte Partnerschaften, langfristige Perspektiven und natürlich Geld. VirgoCoop hat seit seiner Gründung 2018 viel erreicht, aber wir müssen größere und schnellere Schritte gehen, wenn wir die Produktionskette in Okzitanien, in Frankreich und in Europa verbessern wollen.

Wie können wir uns deinen Arbeitsalltag bei VirgoCoop vorstellen?

Für VirgoCoop zu arbeiten bedeutet, immer mehrere Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten: Absprachen und Planung mit den Landwirt:innen und Züchter:innen, Qualitätsmanagement, Fundraising für die Weiterentwicklung unserer Projekte, Leitung der Weberei, Beantwortung der Fragen der vielen Menschen, die sich für Hanf interessieren, Kontaktpflege mit der vor- und nachgelagerten Industrie, um sicherzustellen, dass die Produkte den Bedarfen entsprechen und vieles mehr...

Kein Tag gleicht dem anderen, es ist sehr abwechslungsreich und manchmal eine ziemliche Herausforderung. Aber wir alle bei VirgoCoop sind mit Begeisterung bei der Sache!

Vor allem ist VirgoCoop die Geschichte von Menschen, deren Ideen und Kontakte all dies überhaupt erst möglich machen. Und es geht weiter: Jedes Mal, wenn jemand Neues zum Team stößt, entstehen neue Möglichkeiten, eine neue Vision, die unseren Weg bereichern. Es gibt eine Menge Herausforderungen auf dem Weg, aber wir alle gehen sie mit einer großen positiven Energie an.

Was sind momentan die größten Herausforderungen für VirgoCoop?

VirgoCoop durchläuft eine schnelle Entwicklung, für die wir ein starkes Fundament und solide Partnerschaften brauchen. Die europäische Textilindustrie steht insgesamt vor der Aufgabe, sozial-ökologische Produkte zu entwickeln, die für den Endverbraucher erschwinglich bleiben.

Wir alle waren es gewohnt, billige Kleidung vom anderen Ende der Welt zu kaufen, mit erheblichen sozialen und ökologischen Folgekosten, die nicht leicht zu erkennen sind, wenn man nicht auf die Details achtet. Wenn wir sicherstellen wollen, dass das, was wir konsumieren, weder der Umwelt noch den Menschen schadet, müssen wir auf jeden Fall weniger kaufen, und zwar zu einem fairen Preis, der für nachhaltig Produkte angemessen ist.

Genau das ist die Aufgabe, die wir lösen müssen. Dafür brauchen wir mehr Produktionsstufen in Europa, mehr lokale Produktion, damit diese Strukturen erhalten bleiben und der gesamte Sektor stabiler wird und Skaleneffekte erzielen kann.

Wie habt ihr das nötige Wissen für die Hanfverarbeitung zusammengetragen?

Unser heutiges Know-how verdanken wir vor allem den Menschen, die großzügig ihr über Jahrhunderte weitergegebenes Wissen mit uns geteilt haben. Wir sind froh, dass wir diese Chance noch hatten. Jahrzehntelang war Hanf aus unseren Breiten fast verschwunden, und es gab kaum moderne Werkzeuge für die Verarbeitung.

Deshalb müssen viele Dinge von Grund auf neu entwickelt werden, sei es auf landwirtschaftlicher Ebene, da die meisten der heutigen Landwirt:innen nie Hanf kultiviert haben, sei es beim Bau neuer Maschinen für die verschiedenen Verarbeitungsstufen.

In Frankreich zu sein ist in dieser Hinsicht ein Glücksfall, da es eines der wichtigsten Länder der Welt ist, wenn es um die Hanfproduktion geht: Es gibt eine ganze Reihe von Verbänden, Institutionen und anderen Akteuren, die sich mit Hanf beschäftigen und bereit sind, ihr Wissen weiterzugeben. Dennoch ist der textile Zweck recht neu, und nur gemeinsam können wir ihn verwirklichen.

Titelbild: Nora Tabel | Wildling Shoes