Nahaufnahme von einem Wildling Schuh, der von drei Händen gegen das Licht gehalten wird.

Ein echt wilder Schuh

Wie können wir Minimalschuhe herstellen, die gleichzeitig flexibel und robust sind? Wie kann es gelingen, Bewegungsfreiheit, ein natürliches Laufgefühl und einen bewussten Umgang mit Ressourcen unter einen Hut zu bringen? Solche Fragen nach Qualität und Langlebigkeit beschäftigen das Wildling Team ebenso wie die Wildling Community von Anfang an.

Julian leitet bei Wildling das Team Quality Management. Im Interview gibt er uns einen Einblick in die Herausforderungen, die dabei immer wieder auftauchen.

Julian, Team Lead Quality Management bei Wildling

Als du zu Wildling kamst, steckte dein Team noch in den Kinderschuhen und ihr habt gemeinsam aufgebaut. Was hat es dafür gebraucht?

Julian: Das Commitment des Unternehmens. Das ist bei Wildling definitiv der Fall. Qualitätsmanagement braucht eine Geschäftsleitung, die voll und ganz hinter dem Qualitätsthema steht und im gesamten Unternehmen bei allen Kolleginnen und Kollegen die richtige Einstellung, um auf allen Ebenen mitzuziehen. Das empowert uns als Team Quality Management, das Beste zu geben.

Nimm uns mit in deinen Alltag: ​​Wie sieht eine typische Arbeitswoche im Team Quality Management aus?

Montagmorgens schaue ich mir als erstes die Kennzahlen unserer Qualitätsauswertung der Vorwoche an. Danach verläuft der Alltag dann ganz unterschiedlich.

Zum Bereich Qualität gehört eine Bandbreite an Themen, vom Schuh selbst und seinen einzelnen Bestandteilen über Produktionsprozesse bis zu strategischen Fragen, wie zum Beispiel: "Welche Anforderungen muss unser Qualitätsmanagement-System in zwei Jahren erfüllen?". Dabei konzentrieren wir uns im Team auf zwei Hauptbereiche: das Testing und die Qualitätskontrolle. Außerdem haben wir das Wildling Repair Center aufgebaut.

Eine Person kontrolliert einen Schuh. Im Hintergrund das Wildling Warenlager.

Foto: Kayla Kauffman

Was ist der Unterschied zwischen Testing und Qualitätskontrolle?

Das Testing setzt schon während der Entwicklung neuer Modelle an. Das Produktentwicklungs-Team konzipiert immer wieder neue Modelle, die von uns schon während des Entwicklungsprozesses auf Herz und Nieren geprüft werden. Mein Team organisiert diese Tests, analysiert die Ergebnisse und bereitet sie so auf, dass das Produktteam das jeweilige Modell weiter optimieren kann. Erst nach mehreren Optimierungsschritten geht ein neues Modell dann wirklich in die Produktion bei unseren Partnern in Portugal.

Die Qualitätskontrolle konzentriert sich auf die Wildlinge, die schon produziert werden. Zum einen gibt es bei der Produktion vor Ort in Portugal Qualitätskontrollen, die wir tagesaktuell auswerten, sodass wir bei Bedarf ganz schnell und gezielt nachsteuern können. Und dann gibt es auch noch Stichprobenkontrollen bei den fertigen Schuhen, die ins Warenlager nach Engelskirchen geliefert werden. Falls wir Auffälligkeiten finden, dokumentieren wir sie und besprechen mit dem Team in Portugal, worauf sie bei der Produktion besonders achten müssen, um Fehler zu vermeiden. Auffällige Schuhe wandern in die B- oder C-Ware.

Zum Ende einer Saison schließt sich der Kreis. Wir sammeln alle Daten aus den Kontrollen, den Reklamationen unserer Kundschaft und den Retouren und lassen sie wieder in die Produktentwicklung einfließen. Wir arbeiten also ganz eng sowohl mit dem Team Produktentwicklung als auch mit der Produktion in Portugal zusammen.

Es gibt also schon während der Entwicklungsphase für ein neues Modell Qualitätstests?

Ja, schon in der Entwicklung werden die Materialien zum Beispiel auf Haltbarkeit und andere physikalische Eigenschaften getestet. Für die ersten Prototypen eines neuen Modells gibt es ein Simulationsgerät, das immer wieder dieselbe Geh-Bewegung macht, um zu schauen, ob es Schwachpunkte gibt, die wir dann korrigieren können. In späteren Entwicklungsstufen eines Modells machen wir das Testing mit echten Menschen, die Prototypen im Alltag erproben.

Nahaufnahme eines Wildling Schuhs, der von zwei Händen gehalten wird.

Foto: Kayla Kauffman

Wie seid ihr mit der Produktion in Portugal verbunden?

Mit Portugal haben wir tatsächlich jede Woche ein Online-Meeting.
Wir besprechen die Themen, die uns aufgefallen sind. Deren Ursprung ist sehr vielfältig, von Themen direkt aus der Produktion oder aus unseren Kontrollen über Input vom Customer Service bis hin zu Fragen aus der Community.

Zusätzlich haben wir auch unsere Präsenz in unserer Produktionsstätte in der Nähe von Porto deutlich erhöht und sind öfter vor Ort. So können wir uns über Qualitätsthemen noch direkter austauschen. Wir haben gelernt, dass die zwischenmenschliche Ebene für die Zusammenarbeit mit unseren Partnern in Portugal ganz elementar ist.

Gibt es Wege, den langfristigen Einfluss von Qualitätsmaßnahmen zu messen

Wir messen die Qualität an verschiedenen Stellen im Unternehmen und monitoren seit einigen Jahren Produktionsqualität, Reklamationen, Retourenqualität und auch Kund:innenzufriedenheit. Wir führen Umfragen im Anschluss an Bestellungen durch und fragen nach der Qualität der Schuhe. Die Zufriedenheit in Sachen Qualität der Produkte ist laut der Umfrageergebnisse immer sehr hoch.

Wie in anderen Branchen auch, lässt es sich leider nicht hundertprozentig ausschließen, dass ein nicht ganz perfektes Exemplar bei eine:r Kund:in landet. Natürlich haben wir dafür einen Kund:innenservice, der sich selbstverständlich gerne und kulant darum kümmert. Trotzdem können solche Situationen zu Unmutsäußerungen zum Beispiel auch auf Social Media führen, was dann die Außenwahrnehmung verzerren kann.

Unsere Auswertungen und Zahlen sagen uns aber ganz klar: Seit es das Quality Management Team gibt, steigt die Qualität von Jahr zu Jahr messbar.

Wie messt ihr konkret die Qualität?

Wir haben für jede Eigenschaft des Schuhs Qualitätsstandards und Grenzwerte festgelegt. Das ist ein sehr umfassender Katalog. Mit diesen Grenzwerten kategorisieren wir die Schuhe dann in A-, B-, C- oder D-Ware. Ein weiterer Messwert ist beispielsweise die Anzahl an Reklamationen, die kontinuierlich zurückgeht.

Spannende Einblicke liefert uns auch das Repair Center, das wir vor einem Jahr aufgebaut haben und das uns zusätzliche Daten liefert. Die ersten Erkenntnisse sind bereits in Entwicklung und Produktion eingeflossen.

Was sind eure größten Herausforderungen?

Die Herstellung unserer Schuhe ist sehr komplex. Das macht Wildlinge so großartig, aber stellt uns natürlich auch vor Herausforderungen. Ein Beispiel, das man sich sicherlich auch durch eigene Alltagserfahrungen gut vorstellen kann, ist der Balanceakt, Sohlen sehr fest am Schuh anzubringen und gleichzeitig Kleberreste zu vermeiden. Wir möchten Kleberreste reduzieren, aber natürlich unbedingt sicherstellen, dass die Sohle über Jahre fest am Schuh bleibt. Das kann ein schmaler Grat sein.

Das schwierigste Qualitätsthema ist aber immer das, das es noch nie zuvor gab. Ziel ist immer, einen potentiellen Fehler möglichst früh im Prozess abzufangen. Die größten Herausforderungen sind die unbekannten und undenkbaren Fehler. Für alles, was einmal da war, sind wir danach gut aufgestellt.

Wird es irgendwann den perfekten Wildling geben?

Aus Sicht der Produktionsqualität können wir uns hundertprozentiger Perfektion nur nähern, wenn wir aufhören würden, neue Modelle zu entwickeln. Durch neue Entwicklungen können immer neue Herausforderungen entstehen. Denn mit jeder neuen Kombination aus verschiedenen Stoffen, Garnen, Fersenloops und Sohlen schaffen wir eine Innovation, die sich anders verhalten kann als ihre Vorgänger.

Alles entwickelt sich kontinuierlich weiter: Wildling als Unternehmen, unsere Modelle und auch die Wünsche der Wildling Community. Morgen kann der perfekte Wildling schon etwas anderes aussehen als heute.

Aber deshalb auf Innovation verzichten? Dann wären wir nicht mehr Wildling und ich ahne, dass das auch nicht im Sinn der Wildling Community wäre.

Danke, Julian, für das spannende Gespräch.

Titelbild: Kayla Kauffman