Über traditionelles Handwerk und Synergien

Über traditionelles Handwerk und Synergien

Wenn man ähnliche Werte teilt und zu den Menschen gehört, die neue Ideen einfach mal umsetzen – dann folgen dem Wunsch nach einem gemeinsamen Projekt bald Taten. So war das auch bei Wildling Gründerin Anna Yona und Lisa Jaspers, die mit FOLKDAYS ein Label für zeitgenössische faire Mode aus aller Welt gegründet hat.

Zusammen haben sie ein Kooperationsprojekt mit Kunsthandwerkerinnen aus Kirgistan auf die Beine gestellt. Daraus ist die limitierte Kollektion rund um das neue Modell Aigul, den Schuh aus handgewebtem und traditionell gefärbtem Stoff aus Kirgistan entstanden. Begleitet wird er von einer Tasche und einem Gürtel aus demselben Material. Im Interview erzählen Anna und Lisa, welche Werte sie antreiben und wie es kommt, dass jeder Aigul ein Unikat ist.

Ihr habt beide euer eigenes Unternehmen gegründet. Würdet ihr sagen, dass Frauen anders gründen als Männer? 

Anna: Ich glaube, da sind sehr viele Stellen, an denen Dinge anders gemacht werden. Aber hat das etwas mit Gender oder mit ganz anderen Dingen zu tun?

Lisa: Es geht um die sehr tief verwurzelte Alpha-Kultur mit starken Hierarchien und wenig Mitbestimmungsprozessen. Es gibt sowohl Männer als auch Frauen, die diese Art von Wirtschaft nicht schön finden und sich damit nicht wohlfühlen. Aber ich habe schon den Eindruck, dass Frauen sich eher erlauben, ihr eigenes Unternehmen anders aufzubauen, weil sie sich im konventionellen System noch unwohler fühlen.

Wenn ihr sofort etwas an der Fast-Fashion-Industrie ändern oder wegzaubern könntet, was wäre das?

Anna: Ich würde gerne die tatsächlichen Kosten mit eingepreist haben, und zwar die sozialen und ökologischen. Ich glaube, das wäre das Ende der Fast-Fashion-Industrie.

Lisa: Ein Thema, mit dem ich mich sehr viel beschäftige, ist Überkonsum und Erfüllung – bei sich selbst zu sein und herauszufinden, was man braucht, um ein erfülltes Leben zu führen und innere Leere nicht mit Shopping zu füllen. Solange wir daran nicht arbeiten, werden wir immer zu viel konsumieren. Und das wird dazu führen, dass wir weiterhin über die planetaren Möglichkeiten gehen werden, egal wie nachhaltig die Produkte letztendlich hergestellt werden.

Was ist eure Intention gewesen, gemeinsam an einer limitierten Kollektion zu arbeiten? 

Lisa: Eine Sache, die mich immens stört, ist, dass die Wertschöpfungsketten so aufgebaut sind, dass im Grunde das ganze Geld im globalen Norden erwirtschaftet wird, während eigentlich der meiste Wert im globalen Süden geschaffen wird. Wir wollten eine Möglichkeit finden, mehr Wertschöpfung in Kirgistan zu halten und eine Situation kreieren, wo Menschen vor Ort mehr daran verdienen, als wenn sie nur das Rohmaterial exportieren.

Und deswegen kamt ihr auf das Kunsthandwerk?

Lisa: Richtig. Das ist einer der Gründe, warum Kunsthandwerk und wirklich sehr langwierige und aufwändige Arbeitsprozesse der Kern dessen sind, was wir [bei FOLKDAYS] tun. Durch die Handarbeit wird ein Wert geschaffen, denn jedes Produkt ist dadurch unterschiedlich, menschlich und irgendwie imperfekt perfekt.

Zusammen mit Wildling sind wir durch die Aigul-Kollektion jetzt noch einen Schritt weitergegangen, indem wir nur mit natürlichen Farben arbeiten und indem die Baumwolle nicht nur handgewebt, sondern auch handgesponnen ist.

Es gibt wahrscheinlich noch niemanden in Deutschland, der jemals einen handgewebten, natürlich gefärbten Schuh getragen hat, vor allem keinen Barfußschuh.

 

Das gelb-weiße Wildling Modell Aigul wird frontal in die Kamera gehalten.
Foto: Nora Tabel | Wildling Shoes

 

Das klingt nach anspruchsvollen Ideen. Wie schwierig war das in der Praxis?

Lisa: Gleich zu Beginn hatten wir die Idee, die traditionelle Webtechnik Ikat aus der Region zu nutzen. Die Herausforderung daran war, ein Muster zu entwerfen, das sich in alle Richtungen – gerade und schräg – zuschneiden lässt, da es sonst sehr viel Verschnitt gibt. 

Eine andere echte Hürde war die Frage, ob die Baumwolle zu dick ist und ob wir einen dünneren Stoff brauchen, der stabiler ist. Da ist vieles an Entwicklungsprozessen passiert, aber auch an Mut von Wildlings Seite, diesen Weg zu gehen und so ein außergewöhnliches Produkt zu machen. 

Anna: Und dann kommt noch hinzu, dass wir einen sehr hohen Anspruch an die Performance des Textils haben. Das wird ein Schuh und der wird viel benutzt, so ein Produkt muss eine Menge können. Da muss man einfach schauen, wie man das Material dann doch noch fester und stärker machen und gleichzeitig auch langsamer und achtsamer in der Produktion damit arbeiten kann. Zum Beispiel sollten alle Teile einzeln gestanzt werden, sodass man mit dem entsprechenden Respekt diesem Kunsthandwerk gegenüber vorgeht. Das ist kein Textil, was perfekt für einen Schuh hergestellt worden ist. Das haben wir ja oft, wenn wir mit Naturstoffen arbeiten: dass man diesem Stoff auch entgegenkommen muss.

Wer sind die Menschen, die mit ihrem Kunsthandwerk die Stoffe für die Aigul-Kollektion geschaffen haben?

Lisa: Die Menschen zu finden, die diese Techniken beherrschen, war zunächst nicht so einfach. Letztendlich haben wir über den Baumwollproduzenten, mit dem Wildling zusammenarbeitet, einen Kontakt zu einem Laden in Bischkek, der Hauptstadt Kirgistans, bekommen. 

Die Inhaberin Nasyikat Ysmaiylova hat sich auf Produkte aus ganz Kirgistan spezialisiert, mit einem starken Fokus auf Kunsthandwerk. Sie arbeitet auch mit Begaiym Mamatova zusammen, die als Business Facilitator für Entwicklungszusammenarbeit in der kunsthandwerklichen Wertschöpfungskette tätig ist und viele Kontakte hat. Mit den beiden habe ich Kontakt aufgenommen. Es war sofort sehr herzlich, offen und transparent. Nasyikat und Bega haben dann angefangen, eine kleine Produktionskapazität für unser Aigul-Projekt aufzubauen. 

Ein Großteil der Arbeit fand im Gebiet Osh, im Chong-Alay-District, in den Bergen auf fast 3000 Metern Höhe statt. Dort wurde die Baumwolle gesponnen, gefärbt und gewebt. Nasiykats Laden, der Nomad store, ist inzwischen auch in dieser Region – genauer: in Osh City, das auch als zweite Hauptstadt Kirgistans bekannt ist. Im Gebiet Batken, das direkt an das Gebiet Osh angrenzt, wurde auch ein Teil der Baumwolle gesponnen.

Insgesamt waren 88 kirgisische Frauen in die Produktion des Stoffs für die Schuhe, Taschen und Gürtel involviert. Natürlich nicht dauerhaft und immer alle gleichzeitig, sondern über den gesamten Projektzeitraum verteilt.

 

Eine weiblich gelesene Person verspinnt Baumwolle mit der Hand.

Foto: Subankulov Sanzhar

 

Wie lang waren die Kunsthandwerkerinnen mit diesem Projekt beschäftigt und geht es noch weiter?

Lisa: Mit den ersten Stoff-Samples haben wir vor ungefähr einem Jahr angefangen. Es ist für viele Frauen das erste Mal, dass sie ein Einkommen generieren konnten, weil die Region sehr abgelegen ist und es dort nicht wirklich viele Möglichkeiten gibt, Geld zu verdienen. Das gilt sowohl für die Frauen als auch für die Männer, die dort leben. Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass es eine Verstetigung unserer Zusammenarbeit gibt.

Anna: Für mich ist auch eine große Frage: Wie wollen wir Arbeit auch in Fabriken neu gestalten und können wir das auf ein Level bringen, wo man auch wirklich wieder mehr Mensch sein kann? Ich glaube, das ist eine Riesenaufgabe.

Das klingt nach einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Was können wir durch dieses Projekt von euch lernen und was habt ihr voneinander gelernt? 

Anna: Es ist viel mehr Potential für Spaß, für Freude an der Arbeit, für tolle Ergebnisse da, wenn wir unsere Synergien nutzen, Wissen teilen und uns zusammentun.

Lisa: Wenn wir in Richtung planetarer Grenzen nachdenken, ist Kollaboration der einzige Weg, wie wir ernsthaft an einen Punkt kommen können, wo wir wieder im Einklang mit der Natur und uns selbst kommen können. 

 


Noch mehr rund um den Entstehungsprozess, die Zusammenarbeit mit den kirgisischen Handwerkerinnen und natürlich auch sämtliche Details rund um die Produkte Aigul, Ay und Gul findest du auf der Landingpage zur Aigul-Kooperation.