Gastautorin Kim Gerlach bewegt sich eigentlich in der europäischen Fair Fashion Szene als Beraterin von Brands und Sozialunternehmer:innen. In der zweiteiligen Reihe schreibt sie über Hosenanzüge, Näherinnen im globalen Süden und warum wir weniger Schönheitsideale brauchen.
Feminismus und Fashion teilen mehr als nur einen gemeinsamen Anfangsbuchstaben. Seit knappen einhundert Jahren begleiten sie sich gegenseitig in ihrer Entwicklung. Heute ist Feminismus schon fast massentauglich und mehr als eine Randbewegung der Gesellschaft. In 2020 geht es dank Kleidung um die Selbstermächtigung und das Hinterfragen von gesellschaftlichen Rollen.
Feminismus ist laut dem Duden eine “Richtung der Frauenbewegung, die, von den Bedürfnissen der Frau ausgehend, eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Normen (z.B. der traditionellen Rollenverteilung) und der patriarchalischen Kultur anstrebt”. Und heute geht die Bewegung darüber hinaus und inkludiert alle Geschlechter (also auch jene, die sich nicht als männlich oder weiblich identifizieren) und Menschen die aufgrund anderer Merkmale als Geschlecht (z.B. Hautfarbe und Herkunft) marginalisiert sind.
Aber woher kommt die Verbindung zu Mode?
Kim Gerlach mit praktischer Hosentasche © Constanze Neubert
Seit knapp 100 Jahren ist Kleidung ein Mittel mit dem sich insbesondere Frauen gesellschaftlich emanzipiert haben. Sinnbildlich gesprochen ist hierfür der Hosenanzug. Denn Frauen gewährten sich durch das Tragen mehr Funktionalität, wie eigene Taschen und alltagstaugliches freies Laufen. Physischen und soziologischen Einschränkungen adé! In den 1970ern trugen viele Feminist:innen lila Latzhosen und haben sich statt Lippenstift und BHs auf ihre eigene natürliche Schönheit besonnen.(1)
Heute sind typisch weibliche und typisch männliche Attribute immer verschwommener. Es geht also nicht mehr darum, einer vorgegebenen Norm zu entsprechen, sondern um die eigene, individuelle Entfaltung der Persönlichkeit. Die Bewegung hat im Affentempo einiges geschafft. Dennoch gibt es noch viele Baustellen in der Modeindustrie.
Woran Feminismus heute noch arbeitet
Es gibt viele Baustellen, die im Bezug auf Mode nicht auf den ersten Blick erscheinen.
Der Großteil der Produktionsarbeiter:innen sind Frauen.
Bangladesch ist nach China das zweitgrößte Land für Mode-Export und bestes Beispiel für ungleiche Strukturen. Denn über 80% der Arbeiter:innen sind Frauen und davon ist ein Großteil (70-85% von diesen weiblichen Arbeiterinnen) minderjährig. Sie sitzen oft aufgrund von fehlenden Gewerkschaften mindestens 12 Stunden pro Tag in den Produktionsfabriken und kriegen ihren Lohn erst nach mehreren Jahren ausgezahlt. Der dann ausgezahlte Lohn entspricht 20% des gesetzlichen Mindestlohns.(2) Die Frauen sind nicht kranken- oder sozialversichert und werden menschenunwürdig behandelt. In anderen sogenannten asiatischen Niedriglohnländern wie Indien ist die Lage leider ähnlich.
Pre-Covid: die Fair Fashion Demonstration in Berlin, 2018. ©Fashion Revolution Berlin
Von der Glasdecke zu Schönheitsidealen
Insbesondere in Europa, Teil des globalen Westens, gibt es einige Baustellen und ungleiche Strukturen. Denn ob es nun Fast Fashion Unternehmen oder doch die Luxushäuser sind: Frauen besetzen weniger als 25% der Führungspositionen der Industrie (hier). Die sogenannte Glass Ceiling, zu Deutsch Glasdecke ist eine Metapher für das Phänomen, dass bestimmte Personengruppen, wie Frauen oder BIPOCs* von unsichtbaren Faktoren davon abgebracht werden, in Führungspositionen aufsteigen zu können.
Designs und Sexualisierung des weiblichen Körpers
Der gesellschaftliche Druck auf Frauen ist enorm. Leider gilt der weibliche Körper auch noch heute als Objekt der Sexualisierung. Kommerzielle Großkonzerne setzen in ihrer Werbung weiterhin auf sinnlich drapierte Frauen mit den zeitgenössisch annehmbaren Maßen, 90-60-90. Wo in den 2000ern noch Size Zero auf den Laufstegen der Welt angesagt war, hat sich unser Schönheitsverständnis bei Kleidergröße 34-36 eingependelt. Trotzdem ist das nicht genug, denn die Mehrheit der in Europa lebenden Frauen trägt Kleidergröße 38 und 40. Alles ab Größe 42 wird oftmals nicht produziert und glatt übersehen.
* BIPOC steht für Black, Indigenous, Person of Color.
* in diesem Artikel wurde das Zwei-Geschlechter-Verständnis bewusst gewählt. Hiermit dennoch der Hinweis, dass wir im 21. Jahrhundert mehr als zwei Geschlechter haben und es somit keine Polarität zwischen Mann und Frau ist sondern eine Skala an Geschlechtern.
Im bald erscheinenden zweiten Teil wird Kim noch weiter auf das Thema "Feminismus in der Mode" eingehen.
Zum Weiterlesen:
(1) Quelle: https://www.das-feministische-archiv.de/wir-haben-sie-noch-alle/die-lila-latzhose-und-andere-mythen
(2) (FEMNET, mit der Kampagne #GegenModerneSklaverei hier).
Titelbild: Gastautorin Kim Gerlach © Constanze Neubert