Porträt von Beatrace Angut Lorika Oola stehend, lächelnd und mit ausgeprägter Gestik; sie ist bis zur Hüfte im Bild; im Vordergrund verschwommen der Kopf eines Zuhörers; im Hintergrund verschwommen ein Regal

Design made in Africa

Wie ist eigentlich der Begriff “African Fashion” zu verstehen? Diese Frage wird Beatrace Angut Lorika Oola oft gestellt. Die Gründerin der Plattform “Fashion Africa Now” hat sich zum Ziel gesetzt, ein Bewusstsein für Mode und Design Made in Africa zu schaffen. Ein Ergebnis ihres Engagements ist das Wildling Modell ONU, das aus der von ihr initiierten Partnerschaft von Wildling mit dem nachhaltigen nigerianischen Label NKWO entstanden ist.

In ihrem Gastbeitrag formuliert Beatrace Angut Lorika Oola ihre Antwort auf die häufig gestellte Frage nach African Fashion, erläutert globale Zusammenhänge in der Modeindustrie und beschreibt, wie die Nachwirkungen der Kolonialisierung noch heute Systeme prägen:

“Für African Fashion gibt es bisher nicht die eine Definition, sondern unterschiedliche Auffassungen. Eine Feststellung ist, dass es eine Mode-Bewegung ist und kein Trend. Folgende Definition habe ich mir selbst überlegt und finde sie ganz anschaulich: “African Fashion ist eine Visualisierung von transformierten Traditionen, die den afrikanischen Lebensstil aus einer afrikanisch-afrodiasporischen Perspektive darstellt. Sie spiegelt die Kultur und Identität wider”.

Zeitgenössische Mode und Design sind in vielen Fashion Africa Cities zum Motor kultureller, wirtschaftlicher und politischer Entwicklungen geworden. Getragen werden sie meist von der jüngeren Generation, die ihre Aufgabe nicht nur darin sieht, eigenständige Designformen zu entwickeln, sondern versucht, zusammen mit anderen Akteur*innen aus Musik, Kunst, Tanz, Bildung, Wirtschaft und Politik in den jeweiligen afrikanischen Ländern an gesellschaftlichen Veränderungen mitzuarbeiten, um neue Gesellschaftsformen aufzubauen.

Eine der häufigsten Äußerungen in Interviews mit Designer*innen und Künstler*innen lautet sinngemäß: “Africa is the Future”.

ONU: Kollaboration als gemeinsame Renaissance

Die Kollaboration zwischen Wildling und NKWO, kuratiert von mir, führt auf eine Begegnung im Rahmen der Fashion Changers Konferenz im Jahr 2021 zurück. Während der Konferenz lernte ich Christina, Lead Brand Interaction bei Wildling, kennen. Für mich war schnell klar, dass eine Kooperation zwischen NKWO und Wildling ein Perfect Match wäre, weil es darum geht, neue Werte in Mode zu etablieren und auch auszuleben, sowie neue Verbindungen zu schaffen.

Diese Kooperation ist aus zweierlei Sicht besonders: Zum einen ist es die erste Kooperation mit einem deutschen nachhaltigem Label und einer Designerin afrikanischer Herkunft. Zum anderen bietet diese Kooperation eine Bühne, um Nachhaltigkeit aus einer afrikanisch-afrodiasporischen Perspektive zu erzählen. Die Philosophie von Wildling – “We are Part of the Re:generation” – ergänzt sich mit Begriffen wie Re-imagine, Re-think, Re-define and Re-connect, die Fashion Africa Now verkörpert.

Mit der Kooperation ist ein neues Zusammenspiel entstanden, bei dem es um mehr als um eine reine Schuhproduktion mit einer Designerin afrikanischer Herkunft geht. Es geht darum, ungehörte, marginalisierte Inhalte über neue Narrative zu vermitteln und Erzählungen rund um Mode aus Afrika und der Diaspora Raum zu geben.

Wir kreieren eine eine Schuh, der mit Stereotypen bricht. Mit unserem Modell ONU schaffen wir Raum für neue Impulse und Dialoge über African Fashion. “Onu” ist ein Wort des Igbo Volkes und bedeutet in der nigerianischen Igbo Sprache “Zusammen”. Ziel der Kooperation ist es, Aufklärung, Bewusstseinsschärfung und Perspektivwechsel in der Nachhaltigkeitsbranche zu intensivieren. Einen Dialog über Re-define Fashion zu initiieren, mehr Sichtbarkeit für African Fashion, sowie für Netzwerke, die Mode neu denken und kritisch hinterfragen.

Was ist das Problem und verbesserungsbedürftig?

Aber fangen wir nochmal von Anfang an: Warum ist ein Neudenken und kritisches Hinterfragen eigentlich so wichtig? Zum einen weil Modedesigner*innen, aber auch andere in der Mode-Lieferkette in Afrika noch nicht ausreichend an der internationalen Wertschöpfung partizipieren. Einige Gründe dafür sind der geringe oder fehlende Zugang zu internationalem Know-how in der Modebranche und zum Markt. Weitere Probleme sind das Geschäft mit billiger Secondhand-Kleidung aus dem globalen Norden, das lokale Textilproduzenten verdrängt und ruiniert, sowie die kulturelle Aneignung, beispielsweise wenn internationale Luxusmodemarken wie Burberry, Louis Vuitton oder Marni, um nur einige zu nennen, traditionelle afrikanische Kulturmuster verwenden, ohne tiefgründige Reflexion oder Credits zu geben.

Dieses Gefälle zwischen profitierenden Gesellschaftsgruppen im globalen Norden und marginalisierte Gruppen im globalen Süden geht zurück auf kapitalistische und „koloniale Tradition“. Die kulturelle Aneignung spiegelt Kapitalverhältnisse wider und verfestigt diese, ohne dabei den Wert der ausgebeuteten Kultur zu respektieren.

Durch die industrielle Revolution und Globalisierung ist ein wirtschaftliches System entstanden, welches sich auf die Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen gründet sowie auf übermäßigen Konsum und übermäßige Entsorgung.

Nachhaltigkeit und African Fashion

Der Ursprung dieses kapitalistischen Systems ist Rassismus, bzw. die Ausbeutung und Kolonialisierung indigener Völker und afrikanischer Länder. Die Kulturen der BIPoC (Black Indigenous People of Color) hatten eine nachhaltige Lebensweise im Einklang mit der Natur bereits umgesetzt, bevor sie in westlichen Ländern ein „Trend“ wurde. Die Notwendigkeit für Nachhaltigkeit heutzutage besteht erst aufgrund der Ausbeutung und Enteignung der Länder im globalen Süden. Bis heute bestehen diese Machtstrukturen und der Rassismus, welche als „Motor“ für die Modeindustrie wirken. Die Verhältnisse werden aufrechterhalten durch globale Politik und internationale Handelsverträge, die verhindern, dass Länder im globalen Süden eigene Modelle von Produktion und Wachstum umsetzen.

Struktureller Rassismus in der Mode?

Struktureller Rassismus ist das Ergebnis historischer und sozialer Prozesse, die von vielen Faktoren beeinflusst wurden. Er lässt sich nicht auf eine einzelne Person zurückführen. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes Problem, das durch strukturelle, institutionelle und individuelle Faktoren aufrechterhalten wird.

Beispiele hierfür sind historische Ereignisse wie Kolonialismus, Sklaverei und Ausbeutung von Arbeitskräften, die alle zur Unterdrückung und Benachteiligung bestimmter Gruppen von Menschen aufgrund ihrer “Race” beigetragen haben. Auch heute noch gibt es viele systembedingte Hindernisse, die dazu führen, dass Menschen aufgrund ihrer “Race” diskriminiert werden.

Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft zusammenarbeiten, um strukturellen Rassismus zu bekämpfen und auf eine gerechtere und integrative Zukunft hinzuarbeiten. Rassismus ist ein Problem, das in vielen Bereichen der Gesellschaft existiert. Auch die Modeindustrie trägt häufig dazu bei, rassistische Stereotypen und Vorurteile zu verstärken und zu festigen.

Dekolonialisierung vs. Deconstruct Fashion

Die Dekolonisierung der Mode ist ein Prozess, bei dem die kolonialen Praktiken, Strukturen und Erzählungen, die die Modeindustrie geprägt haben, in Frage gestellt werden. Es geht darum, zu untersuchen, wie der Kolonialismus die Mode beeinflusst hat, etwa durch die Ausbeutung von Ressourcen, Arbeit und kulturelle Aneignung.

Um die Mode zu dekolonisieren, müssen Macht und Kontrolle von den dominanten westlichen Perspektiven und Praktiken weg verlagert und die Stimmen und Erfahrungen marginalisierter Gemeinschaften, einschließlich Schwarzer, indigener und People of Color, in den Mittelpunkt gestellt werden.

Schlüsselaspekte für Dekolonisierung der Mode

Dazu gehört eine Neudefinition von Schönheitsstandards: Entkolonialisierung der Mode bedeutet, die eurozentrischen Schönheitsnormen, die der Branche auferlegt wurden, in Frage zu stellen und verschiedene Körpertypen, Hautfarben und kulturelle Ausdrucksformen zu berücksichtigen.

Zur Dekolonisierung der Mode gehört aber auch, die Art und Weise zu untersuchen, in der die Mode auf ausbeuterische Arbeitspraktiken und Kinderarbeit, angewiesen ist. Es bedeutet, den fairen Handel und ethische Produktionspraktiken zu fördern.

Zur Dekolonialisierung der Mode gehört auch, sich der kulturellen Aneignung bewusst zu sein und zu vermeiden, dass kulturelle Symbole oder Praktiken auf respektlose oder ausbeuterische Weise verwendet werden. Stattdessen müssen die Stimmen und Erfahrungen marginalisierter Gemeinschaften, einschließlich BIPoC und Menschen aus dem globalen Süden, in den Vordergrund gestellt werden und ihnen muss die Macht gegebenwerden, Modeerzählungen und -praktiken zu gestalten.

“Deconstruct Fashion” – Strukturwandel für wirkliche Veränderung

Fashion Africa Now steht für Inklusion, Repräsentanz und Vielfalt in der Mode, und ich denke, dass die Bewegung ihre ästhetische Kraft gewonnen hat und es wichtig ist, diese Ästhetik aus einer afrikanischen/afrodiasporischen Perspektive zu vermitteln. Aus diesen Gründen ist es notwendig, alte Denkmuster aufzubrechen und neu zu definieren. Deshalb fordern wir das Narrativ zurück, das heißt: Eine neue Generation Designer*innen afrikanischer Herkunft denkt zeitgenössische „afrikanische Mode” neu. Ein selbstbewusstes Selbstverständnis und eine Ästhetik aus einer afrikanischen/afrodiasporischen Perspektive wird präsentiert – jenseits der (neo)kolonial geprägten Denkmuster und Schönheitsnormen. Unsere Arbeit ist daher der Beginn von “Deconstruct Fashion”, das Aufbrechen und die Neuinterpretation von Mode. Eine neue Konfrontation, historisch und zeitgenössisch, geleitet von der afrikanischen/afrodiasporischen Perspektive.

Es ist wichtig, den Ursprung der afrikanischen Mode und die traditionellen Aspekte zu verstehen, um diese richtig interpretieren zu können. Hier in Europa haben wir die afrikanische Diaspora und eine wachsende Zahl von Menschen, die mit unterschiedlichen Kulturen aufwachsen. Das bedeutet ein noch wenig erfasstes Käufer*innenpotenzial mit einem zunehmenden Interesse am Konsum von Produkten, die ihre Identität widerspiegeln, das gegenwärtige Verständnis des Mainstreams neu definieren und der ethnischen Mode eine völlig neue Bedeutung verleihen.

Nachhaltige, qualitativ hochwertige Mode für Menschen, die nicht nur in einer Kultur zu Hause sind. Ich habe bewusst erklärt, warum es notwendig ist, “Mode zu dekonstruieren”, und biete eine Positionierung, Deconstruct fashion: eine neue, aktuelle Betrachtung auf spezifische Aspekte bzw. “Einzelteile”, wie z.B. Gender- und Rassismusstrukturen innerhalb nachhaltiger Mode(-produktion) “deconstruct fashion” ist hier als ein politischer Wandlungsprozess zu verstehen.

Kulturelle Wertschätzung bedeutet, dass man sich ernsthaft bemühen wird, etwas über eine andere Kultur neu zu lernen, zuzuhören, sie neu zu denken und zu interpretieren. Es geht darum, die kulturellen Überzeugungen und Traditionen zu verstehen und zu respektieren. Diese neue Interpretation und die neue Konfrontation, historisch und zeitgenössisch, geleitet von BiPoC Perspektiven, ist Kern des Wandlungsprozesses deconstruct fashion. Dieser Wandel wird nur durch die Änderung der Strukturen des Systems wirkmächtig.

Zusammenarbeit als Lösungsansatz

Die Zukunft der Mode liegt in der Zusammenarbeit und einem Bewusstsein für nachhaltige Praktiken. Dies ist die Vision hinter dem Modell ONU: Ein Aufruf zum Handeln und zur Veränderung, indem sie die verborgenen Geschichten der African Fashion erzählt und neue Verbindungen schafft.
ONU repräsentiert die Kraft der Zusammenarbeit und des Dialogs, um die Wahrnehmung von African Fashion und Nachhaltigkeit zu verändern. Durch eine sorgfältige und bewusste Gestaltung, die auf den Prinzipien von Re-generation und Re-definition basiert, wird ein neues Narrativ für Mode in Afrika/Diaspora und Europa geschaffen.

ONU bietet Raum für unerzählte Geschichten, die oft in der Modeindustrie fehlinterpretiert oder ignoriert werden, und fordert gleichzeitig zum Umdenken auf.

Die Zusammenarbeit zwischen NKWO und Wildling ist nicht nur die erste ihrer Art, zwischen einem deutschen nachhaltigen Label und einer afrikanischen Designerin, sondern auch Bühne für eine Plattform für neue Werte in der Modebranche.
ONU ist nicht nur ein Schuh, sondern eine Bewegung. Eine Bewegung, die darauf abzielt, die Modebranche zu transformieren, indem sie auf die Verbindung zwischen Mode und Nachhaltigkeit, Kultur und Geschichte hinweist.
Eine Bewegung, die den Dialog fördert und die unsichtbaren Geschichten in der Modeindustrie sichtbar macht. Diese Kollaboration funktioniert heute im Gegensatz zu vor 15 Jahren, denn was NKWO und Wildling vereint, sind Werte, Vermittlung und ein regenerativer Ansatz. Außerdem besteht das Fundament von Wildling aus einem Communitygedanken und dies ist die Basis für African Fashion. Schon immer wurden Mode aus Afrika aus einem Communitygedanken geschöpft, da alle in den beteiligten Prozessen gleichwertig integriert werden. Bei der Initiative Wastepreneurs ist es schön zu beobachten, ob ein Mitglied Müll sammelt, einen Businessplan schreibt, Stoffreste wäscht oder einfärbt – sie sind alle wertgeschätzte Mitglieder innerhalb der Community.

Eine Einladung an jede*n, daran teilzunehmen


Was kann also jede*r einzelne tun und was muss sich auf politischer und wirtschaftlicher Ebene ändern?
Jede*r Einzelne kann verschiedene Schritte unternehmen, um eine gerechtere und nachhaltigere Modeindustrie zu fördern, zum Beispiel:
  • Sich über BIPoC Plattformen informieren, wie zum Beispiel Fashion Africa Now. Sich über die Probleme der Modeindustrie, wie Ausbeutung von Arbeitskräften, Umweltzerstörung und kulturelle Aneignung, zu informieren, ist ein wichtiger erster Schritt, um Veränderungen zu fördern.

  • BIPoC einkaufen: Bewusste Entscheidungen darüber, was wir kaufen und woher wir es beziehen, können helfen, bewußte nachhaltigere Modepraktiken zu fördern. Dazu gehört auch die Unterstützung von Marken, die im globalen Süden produzieren und auf internationale Absatzmärkte wollen.

  • Die Sensibilisierung für die Probleme der Modeindustrie und das Eintreten mit Haltung für Veränderungen können dazu beitragen, eine gerechtere und nachhaltigere Modeindustrie zu fördern. Dazu kann es gehören, Informationen in den sozialen Medien zu teilen, Marken zu konfrontieren, um bessere Praktiken zu fordern, oder an Protesten und anderen Formen des Aktivismus teilzunehmen.

Zusammen als Teil der Re:generation

Zusammenfassend können wir sagen, durch die kritische Auseinandersetzung mit unseren Erfahrungen und Herausforderungen können wir wachsen und uns weiterentwickeln und somit einen Wandel in der Modebranche herbeiführen. Die Zukunft der African Fashion ist von vielen Faktoren abhängig, aber es gibt einige Schritte, die unternommen werden können, um heute eine positive Veränderung herbeizuführen. Eine Möglichkeit besteht darin, in die Bildung von Modedesigner*innen afrikanischer Herkunft zu investieren. Der Aufbau von BIPoC Plattformen, Modeschulen, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Bereitstellung von Ressourcen wie Know-how und Technologie können dazu beitragen, die lokale Textil- und Bekleidungsindustrie zu stärken. Schließlich können auch politische Maßnahmen dazu beitragen, die afrikanische Modebranche zu fördern, indem beispielsweise Handelsverträge neu verhandelt werden, um fairere Bedingungen für afrikanische Länder und ihre Wirtschaft zu schaffen.

Gemeinsam mit NKWO und Wildling fordern wir Sie auf, an dieser Bewegung teilzunehmen und das Bewusstsein für African Fashion und Nachhaltigkeit zu schärfen. Schaffen wir gemeinsam eine neue Zukunft für Mode."
Titelfoto: Christian Hedel